Krimreise im Herbst 2019
ein Bericht von Mario Bauch
Der große Stahlvogel bohrt sich abermals in den Horizont. Nach dem Zwischenstopp in St. Petersburg geht es jetzt endlich nach Simferopol, der Hauptstadt der Krim. Es ist ein klarer Morgen, strahlender Sonnenschein. Ich schaue aus dem Fenster des Flugzeuges. Wie große Eisberge aus Wattebausch treiben Wolken an mir vorbei, angestrahlt vom gleißenden Licht der Sonne. Ab und zu sehe ich ein anderes Flugzeug uns entgegenkommen, das in der Ferne wie ein Spielzeug wirkt. Ich bin sehr gespannt und aufgeregt, wieder die Krim zu besuchen.
Ich denke zurück, als ich das erste Mal auf der Krim war. Es war 1984 und ich war 12. Ich kann mich noch genau erinnern, als uns unsere Lehrerin mitteilte, dass unser Bezirk Karl - Marx - Stadt in diesem Jahr die Schüler der DDR für das Pionierlager Artek auswählen durfte und ich einer von ihnen war. Ich kann mich noch genau erinnern, wie wir in Artek unvergessliche Wochen zusammen mit tausenden anderen Kindern verbrachten, Kindern aus allen Teilen der Welt, wie zum Beispiel aus Guinea - Bissau, Jemen und der großen UdSSR. Wir alle träumten von einer friedlichen, gemeinsamen Zukunft. Die DDR gibt es nicht mehr. Karl - Marx - Stadt heißt heute wieder Chemnitz. Der Jemen wird von einem furchtbaren Bürgerkrieg erschüttert. Auch die UdSSR gibt es nicht mehr und die Brudervölker der Ukraine und Russlands schießen aufeinander.
Ich war auch zu ukrainischen Zeiten immer wieder auf der Krim und habe Artek wieder besucht. Die Krim ist einfach eine Perle mit seinen wunderschönen Städten, seiner Natur, dem subtropischen Klima und der Landschaft. Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt, habe entspannt, habe hier meine Frau kennen gelernt und die Halbinsel bereist.
Bereits damals schwelten die Spannungen unterschwellig. Die ukrainische Seite investierte kaum in die Infrastruktur. Die Bewohner waren auf sich selbst gestellt. Dafür begann bereits in der Ära Juschtschenkos die Zeit der nationalistischen Repression. Die Faschisten unter dem Hitlerverbündeten Bandera, die nur im äußersten Westen ein Thema waren, wurden auf einmal zu Nationalhelden gemacht, die russische Sprache sollte zurückgedrängt, Filme nur auf ukrainisch gesendet werden, russische Schulen wurden verringert und Namen sollten die ukrainische Schreibung und Aussprache erhalten. Bereits damals plädierten viele auf der Krim für die Abspaltung. Mit Janukowitsch kehrte etwas Ruhe ein bis zum Maidanputsch. Ich kann mich noch gut erinnern, wie der Radaabgeordnete Musuitschko mit der faschistischen Wolfsangel auf der Brust im Fernsehen verkündete, man werde jetzt Freundschaftszüge zusammenstellen und die Krim von allem Russischen säubern. Ich kann mich gut erinnern, wie die Panik unsere Verwandten und Bekannten erfasste, die dann beschlossen, sich selbst zu bewaffnen. Der Bürgerkrieg lag in der Luft. Dann aber griff Russland ein und die Krim war gerettet. Dafür wurde sie dann vom Westen mit Sanktionen belegt. Die Ukraine hat alle Flug - und Bahnverbindungen zur Krim gekappt. Und doch protestieren die Herren in Kiew, nun von Amerikas Gnaden, immer wieder, wenn Leute nicht über die Ukraine auf die Krim reisen.
Ich bin ein solcher Reisender und ich bin wirklich gespannt, wie sich alles innerhalb der fünf Jahre verändert hat und ich bin gespannt, wieder nach Artek zu kommen. Schon nach dem Eintreffen fällt der große und moderne Flughafen mit seiner Architektur auf, die der Allianzarena in München gleicht. Den Flughafen hat Russland, ebenso wie die Brücke auf die Krim, die längste Europas, innerhalb von zwei Jahren aus dem Boden gestampft. Niemand hatte Russland diese Leistungen zugetraut. Was mir ebenfalls gleich nach meiner Ankunft auffällt: versprühten die Leute früher gegenüber Fremden zunächst oft eher einen spröden Charme, sind die Menschen nun sehr freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Eine Tatsache, die ich auf der kommenden Reise immer wieder bemerke. Ich fahre zunächst in unser Hotel in Simferopol.
Am nächsten Tag treffe ich mich mit Juri Hempel, dem Vorsitzenden der Krimdeutschen. Da ich von Berlin abgeflogen bin, treffen die anderen unserer Gruppe erst am nächsten Tag ein. Juri lädt mich in ein krimtatarisches Restaurant ein. Die Krimtataren sind für ihre Gerichte, aber auch ihre Backwaren auf der Krim berühmt und beliebt. Die Spannungen zwischen den Krimtataren und den anderen Bevölkerungsteilen haben, im Gegensatz zur ukrainischen Zeit, nach meinem Eindruck eher abgenommen. Zu ukrainischer Zeit lebten die Krimtataren oft unter furchtbaren Bedingungen meist ohne Strom und fließendem Wasser. Die russische Führung hat die daraus resultierende Gefahr erkannt und hier Abhilfe geschaffen. Dennoch wird es wohl auch in Zukunft nicht an Versuchen fehlen seitens des Westens, aber auch seitens der Türkei, die Krimtataren für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Schon bald bekomme ich das erste Problem der Sanktionen zu spüren. Alle Banken sind am Wochenende geschlossen und mit westlichen Kreditkarten kann man kein Geld abheben. Es gibt auch keine Wechselstuben wie zu ukrainischen Zeiten. Den Rat, vorher Rubel umzutauschen, habe ich ignoriert, da ich dachte, dies sei übertrieben. Ich muss mir Geld borgen, bis die Banken wieder öffnen.
Ich fahre mit Juri zu einem Historienspektakel, bei dem Kämpfe der Krimkriege 1853 - 1856 nachgestellt werden. Es wurde eine richtige Kulisse aufgebaut und die Darsteller erscheinen in den Uniformen der Zeit. Bald knallen und krachen die Kartäschen, bis der Rauch die ganze Sicht vernebelt.
Bis Sonntag Nacht sind alle unserer Gruppe eingetroffen und wir lernen uns endlich einmal persönlich kennen. Am nächsten Tag fahren wir nach Sewastopol, eine der schönsten Städte der Krim und Sitz der russischen Schwarzmehrflotte. Die Stadt ist mehrfache Heldenstadt und besonders Stolz auf ihren zähen Widerstand gegen die deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg. Vom 11. November 1941 bis zum 04. Juli 1942 verteidigte sich Sewastopol gegen die ständig angreifenden faschistischen Truppen. Nur neun Gebäude blieben in der Stadt unbeschädigt. Kaum jemand entkam der Belagerung lebend. Zu ukrainischen Zeiten besaß die Stadt einen Sonderstatus und ich kann mich gut an das Meer russischer Fahnen erinnern. Sewastopol hat sich immer russisch gefühlt und daran auch nie einen Zweifel gelassen. Krimbewohner sagten mir, Sewastopol sei anders, die Menschen glücklicher und fröhlicher. Nachdem wir einen deutschen Soldatenfriedhof besucht und an einem Denkmal für die Verteidiger der Stadt Blumen niedergelegt haben, fahren wir per Schiff durch den Hafen Sewastopols mit der alten Festung und dem schönen Eingangstor. Links und rechts liegen große Schiffe, die man teilweise wegen der Touristen extra dort positioniert hat. Ein Fernsehteam des Stadtkanals begleitet uns. Wir schlendern durch den Hafen und zum Denkmal der versunkenen Schiffe, das wie eine antike Säule aus dem Meer ragt. In Sewastopol tragen viele Straßen deutsche Namen, da zahlreiche deutsche Offiziere in der Schwarzmeerflotte kämpften. Auch ein neues Denkmal für die Stadtgründerin Katharina die Große, welche als Sophie Auguste Frederieke von Anhalt Zerbst das Licht der Welt erblickte, wurde errichtet. Hochzeitspaare steigen aus und lassen sich vor dem Denkmal fotografieren. Das Wetter ist herrlich.
Auf der Fahrt von Stadt zu Stadt ist auffällig, dass neue Stromtrassen und Straßen gebaut werden. Russland investiert eindeutig im Gegensatz zur Ukraine massiv in die Infrastruktur der Krim.
Unser nächster Trip führt uns nach Ewpatorija, einer Stadt an der Westküste der Krim. Ewpatorija kannte ich noch nicht und bin daher sehr gespannt. Die Stadt überrascht mich. Auf engstem Raum in der Altstadt stehen orthodoxe Kirche, Synagoge und Moschee. Wir besuchen die Moschee der Krimtataren und kaufen leckeres krimtatarisches Gebäck. Dann begeben wir uns zum Strand. Schmucke, alte Villen stehen dort neben gut eingepassten Restaurants. Die Stadt ist ein Kleinod, was ich nicht erwartet hatte. Unsere hübsche und junge Stadtführerin erklärt uns in perfektem Englisch die Sehenswürdigkeiten. Man hatte sie kurzerhand gebeten, den Job zu übernehmen, was sie aus dem Stegreif tat.
Einen Tag muss ich mich nach Aluschta begeben, um hier private Dinge zu erledigen. Die Stadt liegt neben Jalta und ist eine der Perlen der Krim. Hier lebten noch bis ins 16. Jh. die Krimgoten, ein germanischer Volksstamm. Ich schlendere am Strand entlang und beschließe die normalen Bürger zu fragen und zu filmen, wie sie es nun unter russischer Hoheit finden. Ich will ehrliche Meinungen. Die Leute äußern sich frei und ohne Hemmungen. In die Ukraine will niemand zurück Aber man schildert mir auch die alltäglichen Sorgen, welche die Leute drücken. Aufgrund der Sanktionen kann der Tourismus nicht schneller entwickelt werden. Man kommt schlechter an Devisen heran. Die Auflagen und Bürokratie sind strenger als in der Ukraine. Die Einkommen sind gestiegen, aber die Preise auch. Vor allem die Rentner können mit ihren Pensionen überleben, jedoch mehr oft nicht. Alle betonen aber, dass für sie das Wichtigste Frieden ist. Und für mich ist auch erstaunlich, dass Ukrainer und Russen auch weiterhin keine Berührungsängste haben.
Bevor ich nach Simferopol zurückfahre, will ich noch das Delphinarium in Aluschta besuchen. Es sind wenig Zuschauer da. Ich lehne mich entspannt zurück. Doch als die Vorstellung beginnt, bin ich echt baff. Hier werden wirklich Attraktionen der Spitzenklasse geboten. Sportler, die auf einem Bein stehend Pirouetten auf der Nase eines Dephins drehen und Handstand auf der Nase machen, während der Delphin aufrecht stehend durch das Wasser gleitet. Wieder eine weitere Überraschung und Empfehlung.
Der Besuch im Krimparlament war sehr kurz gehalten. Ich hätte mir noch einen persönlichen Plausch mit den Abgeordneten gewünscht. Ich teile es Juri mit und wir beschließen, weiter in Kontakt zu bleiben.
Endlich geht es nach Artek. Wir werden herzlich empfangen. Selbst im Oktober ist das Ferienlager gut gefüllt. In unserer Gruppe sind gleich drei Artekianer. Wir berichten über unsere damaligen Aufenthalte. Ich wohnte damals in der Almasnaja Druschina, dem Diamantenlager. Leider wird dieses gerade umgebaut. Im Ferienlager hat Russland auch erhebliche Investitionen vorgenommen. Unsere alten Gebäude wurden teilweise renoviert. Neue schöne Gebäude für die Kinder wurden gebaut, die dort ihre Ferien verbringen, tanzen, spielen und lernen. Die meisten Kinder, die sich heute in Artek erholen, sind neben russischen, ukrainische Kinder. Die Kinder springen um uns herum, wollen sich mit uns fotografieren lassen und Autogramme erhalten. Möge diese unbeschwerte Generation die Zukunft sein. Ich wäre gerne noch länger in Artek geblieben. Wir verabreden, dass wir bei einer späteren Reise hier einen längeren Aufenthalt einplanen.
Unsere letzten Tage verbringen wir in Jalta. Jalta ist für mich der schönste Ort der Krim. Am Ufer sieht man die Argo der Argonauten, ein Restaurant, das wie das griechische Schiff der Sagenheroen gestaltet ist. Die Uferpromenade von Jalta ist immer gefüllt. Kinder fahren mit Rollerblades über die glänzenden Fliesen, Bands spielen unter der Leninstatue alte und neue Lieder. Große Luxusliner liegen direkt an der Uferpromenade und deren Touristen werden in den ewigen Strom der Flanierenden eingesogen. Künstler bieten an einem Seitenweg ihre Bilder an und erschaffen neue. Langsam sinkt die Sonne ins Schwarze Meer und verwandelt sich in einen roten Feuerball, vor dessen Silhouette Delphine fröhlich umherspringen. Möge dieses Paradies weiter vor der Zerstörung verschont bleiben. Und möge es mir gestattet werden, abermals hierher zurückzukehren. Mit etwas Wehmut im Herzen besteige ich wieder den großen Stahlvogel und erhebe mich mit ihm in die Lüfte. Der Mensch hat es geschafft, bis ins Weltall zu fliegen. Möge er es auch irgendwann schaffen, in Frieden mit sich zu leben und die Schönheit der Schöpfung zu bewahren.
...